Diversity in Leadership & Tech

Aktuelles

Barbara Wülser,

Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann Kanton Graubünden

Ich komme kaum nach: Was geschieht gerade auf dieser Welt? Erst Anfang letzten Jahres stellte ich hier an dieser Stelle fest, dass die Arbeitswelt im Aufbruch ist: Unternehmen investierten in die Förderung von Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion. Dies führte zu einem «Nussknacker-Effekt», der die jahrelangen Gleichstellungsbemühungen von anderer Seite unterstützte. Ich ging davon aus, dass dieser Trend zehn Jahre oder mehr dauern würde – oder zumindest so lange, wie auch der Fach- und  Arbeitskräftemangel anhält. Weit gefehlt!

Ein einzelner Mensch hat innert eines Jahres eine Trendumkehr bewirkt: Donald Trump. Noch am Tag seiner Amtseinführung unterzeichnete der alt-neue US-Präsident einen Erlass, der es amerikanischen Behörden untersagt, so genannte «DEI-Programme» zu unterhalten, die Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion (Diversity, Equity, Inclusion) fördern. Regierungsstellen dürfen keine Waren und Dienstleistungen von Unternehmen beziehen, die sich zur Diversität bekennen und entsprechende Programme verfolgen. Wirtschaftsunternehmen, die ihre Arbeitgebermarke zuvor mit Vielfalt und Inklusion schmückten, kürzten ihre Budgets in diesem Bereich. Tech-Riesen wie Microsoft, Google oder Meta waren die Speerspitze dieser Entwicklung.

Wörter werden verbannt

In der Schweiz wurde die Entwicklung in den USA anfangs mit Irritation zur Kenntnis genommen. Laut «20 Minuten» gaben Mitte 2024 mehrere Unternehmen an, keine Abbaupläne zu haben. Darunter UBS, Novartis und Roche. Doch bereits Anfang Februar 2025 löschte der international tätige Pharmakonzern Novartis seine Diversity-Seite in den USA. «Eine Vorsichtsmassnahme oder doch der Beginn eines grösseren Wandels?», fragte die NZZ. Im März zog die Grossbank UBS nach: Die Wortkombination Diversity, Equity and Inclusion sowie das entsprechende Kürzel DEI wurden aus dem Geschäftsbericht und dem Nachhaltigkeitsbericht verbannt, wie auch die Diversitätsziele. Auch Roche strich die globalen DEI-Ziele. 

Mittlerweile ist der Trend auch in Graubünden angekommen: International tätige Unternehmen machen Rückzieher und kündigen ihre Kooperation mit Diversity-gr auf, einem Netzwerk von Unternehmen mit IT- und Tech-Bezug zur Förderung von Gleichstellung und Inklusion. Als Teil der Trägerschaft von Diversity-gr frage ich mich: Ist der Nussknacker-Effekt nun endgültig dahin?

Mehrheitsfähig oder marktschädigend?

Auf den ersten Blick ist es simpel: Wirtschaftsunternehmen verfolgen wirtschaftliche Ziele und müssen zur Erreichung ihrer Ziele gewisse Rahmenbedingungen berücksichtigen. Die Rahmenbedingungen in den USA werden vom Präsidenten vorgegeben. Doch juristisch haben Unternehmen, die ihre Diversity-Programme weiterhin betreiben, in den USA nichts zu befürchten. Trumps Verordnungen betreffen nur staatliche Behörden. 

Es ist also eher ein «atmosphärisches» Problem: Unternehmen orientieren sich an vermeintlichen gesellschaftlichen Werten, um ihre Marktposition zu stärken. Bis vor kurzem meinten sie, Gleichstellung und Inklusion sei mehrheitsfähig, und investierten in entsprechende Programme. Nun meinen manche offenbar, dieses Image sei marktschädigend – und streichen die Programme oder zumindest die Begriffe aus ihrem Wortschatz. Vielleicht war gar nicht ein einzelner Mensch Schuld, sondern sie haben nur auf eine gute Gelegenheit gewartet.

Fähnchen im Wind

Insofern trennt die aktuelle Entwicklung die Spreu vom Weizen. Andere Unternehmen nämlich sagen sich: Jetzt erst recht! Sie wissen: Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion stärken die Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz von Unternehmen – gerade in Zeiten gesellschaftlicher und politischer Spannungen. An unserer nächsten Veranstaltung am 29. September um 17 Uhr in der Werkstatt in Chur fragen wir vom Netzwerk Diversity-gr zusammen mit Swiss Diversity : Wie können Unternehmen diese Chancen erkennen, mit Widerstand umgehen und trotz Gegenwind eine inklusive Kultur fördern? Weitere Informationen und Anmeldung dazu finden sich unter www.Diversity-gr.ch.

Ich muss eingestehen: Für einmal gehe ich mit der EMS-Chefin Magdalena Martullo-Blocher einig. Sie kritisiert das Verhalten der grossen US-Firmen. Sie würden sich verbiegen, um der Politik zu gefallen, sagte sie Mitte Juli im Interview mit der «Südostschweiz». «Als die Demokraten an der Macht waren, riefen sie unzählige Woke- und Genderprogramme ins Leben. Kaum ist Donald Trump gewählt, werfen sie alles wieder über Bord.» Wenn sich die Wirtschaftsführung nach der Politik richte, sei das nie gut. «Unternehmensführung muss langfristig ausgelegt werden. Die Politik denkt immer nur in 4-Jahres-Wahl-Zyklen.» Insofern besteht Hoffnung: Auch die Gleichstellungsbemühungen sind langfristig ausgelegt. Schauen wir, wo wir in vier Jahren stehen.

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